Montag, 2. Dezember 2013

Hirtenbrief für den ersten Adventsonntag, dem 1. Dez. 2013


  Einladung zu einem „Jahr des Betens"

Liebe Schwestern und Brüder!
 „Euch aber habe ich Freunde genannt". So lautet mein Bischofsmotto. Jesus nennt uns nicht mehr Knechte, sondern Freunde.[1] Zur Freundschaft gehört Begegnung, und diese erfordert Zeit füreinander. Freundschaft lebt vom Austausch, vom gemeinsamen Gespräch. Die Freundschaft mit Jesus lebt aus dem Gebet. Für Teresa von Avila ist Beten nichts anderes „als Verweilen bei einem Freund, mit dem wir oft und gern zusammen kommen, einfach um bei ihm zu sein, weil wir sicher wissen, dass er uns liebt".[2]
 Einfach beten": Unter diesem Motto lade ich Sie alle zu einem „Jahr des Betens" ein, das an das „Jahr des Glaubens" anschließt, welches mit dem Christkönigssonntag vor einer Woche zu Ende gegangen ist. Es geht mir mit dieser Einladung nicht darum, dass noch mehr Aktivitäten geplant und gesetzt werden. Ganz im Gegenteil: nicht mehr, sondern eher weniger tun! Nicht neue Aktion, sondern mehr Kontemplation. „Weniger ist mehr". Es fehlt uns nicht am Tun und Unternehmen. Es mangelt uns eher an Zeit zur Stille und zum Gebet, zu Sammlung und Innerlichkeit.
 Der diözesane Entwicklungsprozess bringt starke Veränderungen mit sich, die für Unsicherheit sorgen. Ich sehe die Gefahr, dass wir sehr viel Zeit und Kraft in die praktischen Fragen der Strukturerneuerung investieren, in die Entwicklung von Pfarrverbänden, Seelsorgeräumen und in die „Pfarre neu". Wie sichern wir uns vor Leerlauf und Überaktivität, die dann zu Erschöpfung und Enttäuschung führen? Wie bleiben wir in der Spur des Evangeliums? Wie können wir Menschen auf Jesus neugierig machen? Bei allem notwendigen Überlegen und Planen dürfen wir die Grundfrage nicht aus dem Blick verlieren: „Herr, was ist Dein Wille? Wohin willst Du uns führen?" „Er zeige uns seine Wege, auf seinen Pfaden wollen wir gehen", hörten wir eben in der ersten Lesung aus Jesaia.[3]
 Damit der Herr uns den Weg zeigen kann, den Er uns führen will, bedarf es des Hörens auf Sein Wort, des Innehaltens, des Gebets. Wie aber beten? Gewiss, das Gebet ist eine Gnade. Doch es ist ebenso unsere Antwort, die wir Gott geben oder verweigern können. Wir müssen es wollen und darum kämpfen. Wie schwer tun wir uns oft, Zeit für das Gebet zu finden. Und wenn wir sie uns nehmen, dann erleben wir die Not der Zerstreuung. Deshalb brauchen wir Vorbilder des Gebetes. Der heilige Pfarrer von Ars bewunderte einen einfachen Bauern, den er oft vor dem Tabernakel verweilen sah. Was er hier so lange mache? Darauf die schlichte Antwort des Bauern: „Ich sehe Ihn an und Er sieht mich an."
 Vorbilder des Betens: Unvergesslich ist mir aus meiner Jugend der Lichtschein einer Lampe in der nächtlichen Pfarrkirche. Wir wussten: Der Pfarrer betet! Wie muss der Eindruck des Betens Jesu auf die Jünger gewesen sein! Er hat in ihnen die Sehnsucht geweckt, diesen „inneren Ort" Jesu kennen zu lernen: „Herr, lehre uns beten!" Im „Jahr des Betens" lade ich vor allem dazu ein, das Beten Jesu zu betrachten und die Begegnung mit Ihm im Beten zu suchen.
 „Die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf … die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe"[4], sagt der Apostel Paulus in der heutigen zweiten Lesung aus dem Römerbrief. Wie jede Begegnung, wie jede Freundschaft braucht auch die mit Jesus eigene Zeiten, Stunden, in denen alles andere hintangestellt wird und wir nur für Ihn da sind, um in Einfachheit mit Ihm vertraut zu werden und die Freude an Ihm und Seinem Wort zu verkosten.
 Für das „Jahr des Betens" haben wir bereits eine Website eingerichtet:
Dort finden sie allerlei Anregungen und können auch selber welche geben. Eine Ermutigung gebe ich für unsere vielen Sitzungen und Besprechungen in unseren Gemeinden: Beginnen wir sie mit einer guten, längeren Zeit des Gebetes, der Schriftbetrachtung und/oder der eucharistischen Anbetung. Wir verlängern dadurch nicht die Sitzungszeit, sondern machen sie kürzer, aber wesentlicher und wirksamer! Die Zeit, die wir im Gebet Gott schenken, fehlt nicht anderswo. Das ist eine Erfahrung, die uns Papst Franziskus ganz persönlich vorlebt.
 Das neue Gotteslob, das mit dem heutigen ersten Adventsonntag herauskommt, bietet uns einen reichen Schatz an persönlichem und gemeinschaftlichem Beten, Anregungen zur Schriftbetrachtung und natürlich eine Fülle an gesungenem Gebet.
 „Seid also wachsam! Denn ihr wisst nicht, an welchem Tag euer Herr kommt!"[5]: so sagt Jesus im heutigen Evangelium. Beten macht wachsam, aufmerksam auf Gottes Spuren in unserem Alltag, in unserer Mitwelt. Beten ist ein guter Weg, „Gott in allen Dingen zu suchen und zu finden", wie der hl. Ignatius sagt. Beten wir füreinander, für unsere Nachbarn, für die Regierenden, die Notleidenden, die Suchenden. Beten ist immer auch Stellvertretung, Eintreten für andere bei Gott. Im Gebet verwirklichen wir unsere Mission, Menschen für Christus zu gewinnen, indem wir sie Ihm und Seiner Gnade anvertrauen. Im Gebet finden wir jene Gelassenheit, die uns vor Bitterkeit und Frustration bewahrt, weil wir uns selber und alles Gott in die Hand legen.
 Am Ende dieser Einladung zum Jahr des Betens komme ich mit einer Bitte zu Ihnen allen: Beten Sie auch für mich, damit ich nicht nur vom Gebet spreche, sondern es selber lebe. Wagen wir, füreinander und miteinander zu beten, um in der Freundschaft Jesu zu wachsen. Vertrauen wir auf seine Zusage: „Bittet und ihr werdet empfangen, damit eure Freude vollkommen ist".[6]
 Eine gesegnete Adventszeit wünscht Ihnen von Herzen
                         Ihr + Christoph Kardinal Schönborn

[1] Vgl. Joh 15,15.
[2] vgl. KKK 2709
[3] Jes 2,3
[4] Röm 13,11
[5] Mt 24,42
[6] Joh 16,24